Donnerstag, 12. Juni 2008

Kasimir


Nun endlich möchte ich der geneigten Leserschaft mal meinen treuen Freund Kasimir vorstellen!

Bisher hat auch mein Ritter die Existens des Nebenbuhlers recht gelassen hingenommen. Wahrscheinlich, weil ich doch recht wenig Zeit mit Kasimir verbringe.

Und weil ich ein ganz, ganz fauler Mensch bin, stibitze ich den Eintrag aus meinem alten Tagebuch, den ich an dem Tag verfasst hatte, als Kasimir in mein Leben trat:






Endlich. Endlich ist er da! Nachdem ich schon den ganzen Winter sehnsüchtig auf ihn gewartet habe! Voller Spannung, Bangen und Hoffen: Wie wird er sein? Wie sieht er aus? Komme ich mit ihm zurecht?

Jetzt endlich, Donnerstag vor einer Woche kam er: ein gewaltiges, hölzernes Ungetüm. Staubig. In Einzelteile zerlegt.

Mit ihm kam ein Engel: Waltraud. Ende 70. Weberin.

Sie hat den Haufen wirrer Holzteile, Litzen, Fäden, Hebel und Schnüre zusammengefügt und ihm neues Leben eingehaucht. Und da steht er nun, in voller Pracht und Schönheit: Kasimir, ein alter Bauernwebstuhl. Gebaut Ende 1800 oder Anfang 1900. Genau weiß das Niemand mehr. Jeder Webstuhl hat einen eigenen Charakter. Da gibt es Widerspenstige, Zaghafte, Wankelmütige. Solche, die immer fremd und unbequem bleiben, und solche, die einen sofort Willkommen heißen und mit dem man sich wohlfühlt. Und so wie jeder Webstuhl eine eigene Persönlichkeit ist, bekommt er einen Namen. Dieser heißt Kasimir. Schon seit Urzeiten. Zumindest behauptet Waltraud das. Und sie kennt ihn schon lange. Früher hat sie selbst auf ihm gewebt. Da war er auch schon ein alter Herr.





Dann brauchte ihn Niemand mehr. Waltraud hat ihren eigenen Webstuhl (hab vergessen zu fragen, wie der heisst). Jetzt hat er ein neues Zuhause. Und ein neues Leben. Nachdem er seit 12 Jahren zerlegt auf dem Dachboden der Neinstädter Anstalten vor sich hinstaubte. Und vermutlich irgendwann im Sperrmüll gelandet wäre.





Die Gesellschaft für Lebensorientierung (LEO e.V.) hat ihn gekauft. Jetzt steht er im Birkenhof in der Webstube und leistet unseren beiden Tischwebrahmen Gesellschaft. Neben ihm sehen die beiden richtig klein aus: Steffis Webrahmen ist 1,00 x 1,00m, und der, an dem ich bisher gewebt hatte, etwa 0,80 x 0,80m. Jetzt darf ich auf Kasimirs schmaler, etwas wackeliger Bank Platz nehmen und Weben. Er hat zwar nur zwei Tritte, aber immerhin schon eine Schnellschußlade (die ich aber nicht verwende, weil die alte Kette, die noch drauf ist, schon 12 Jahre alt und etwas marode ist. Es reißen sowieso dauernd Kettfäden.) Aber wenn diese Kette abgewebt ist, kommt eine neue (hoffentlich farbige!) Kette drauf, und dann werde ich den Schnellschuß einbauen! Wow, und dann flitzt es nur noch so! Muss dann aber einen Schutz an die Wand schrauben, damit das Schiffchen, falls es mal ausbüxt, keine Löcher in die Wand rammelt. Bei dem Webkurs in Kukate im Wendland letzten November ist mir das dauernd passiert.



feines Stöffchen :-)
aus selbstgefärbter Wolle: verschiedene Braun- und Beigetöne mit Walnußschalen, das rot ist mit Cochenille und Krapp gefärbt, nach Rezept Nr. 14 aus Dorotheas Färbebuch


Heute haben Steffi und ich gewebt. Beziehungsweise habe ich viel Zeit damit verbracht, gerissene Fäden anzuknüpfen. Steffi ist 38 und schizophren. Durch Medikamente zwar jetzt ziemlich “normal”, hat aber hier im Dorf kaum Kontakte und kommt kaum raus. Meine Schwiegermama ist ein wunderbarer Mensch, mit einem großen, weiten Herzen und viel Mitgefühl für andere. Sie kam dann auf die Idee, das wir zwei doch zusammen weben könnten. Schliesslich standen die beiden Tischwebrahmen seit Jahren ungenutzt in der Scheune im Rittergut. So weben wir seit letzten Sommer in der Werkstatt im Birkenhof, und ich höre mir Steffis Geschichten an. Ist manchmal nicht leicht, schliesslich bin ich auch kein Psychotherapeut oder sowas. Aber sie ist total glücklich, das ich mir Zeit für sie nehme. Und das Weben ist wirklich toll. Besonders jetzt, seit Kasimir da ist!





mein "Alter".
Das soll mal eine Umhängetasche werden. Dicke Dochtwolle, gefärbt mit Krapp und Myrthe plus Eisensulfat

1 Kommentar:

Siggi hat gesagt…

Irre! Und den wollte keiner mehr??? Naja, braucht auch ein klitzekleines bisschen Platz und Menschen, die die Lautstärke aushalten, gelle! Schön, dass er ein Zuhause gefunden hat!